top of page

Das Zeitalter der Prophezeiung


Im ersten Jahrtausend v.u.Z. hatten Priesterinnen die alte schamanische Funktion der Prophetie übernommen. In der Welt der Antike traf niemand eine Entscheidung - weder Pharao noch Königin, noch Kaiser, Senator, Soldat oder Sklave - ohne vorher Orakelpriesterinnen befragt zu haben. Sie wurden über die Bedeutung von Ereignissen, Omen für die Zukunft, angemessenes persönliches Verhalten, den Vollzug von religiösen Ritualen oder politischen Ernennungen befragt.

Man erwartete von ihnen, dass sie die göttliche Ordnung empfangen und interpretieren konnten. Die Methoden der Weissagung waren überaus zahlreich. Am dramatischsten war das prophetische Trancesprechen. In der Tiefe einer Trance galt das Medium als von der Gottheit besessen, die unmittelbar durch ihre Lippen sprach. Manchmal intervenierte ein Priester zwischen Seherin und Ratsuchenden und interpretierte die Worte der Seherin oder ordnete sie in Hexametern an. Das griechische Wort für diesen verwandelten Bewusstseinszustand ist "enthousiasmos" oder "Gott-Innesein". Darin steckt auch unser heutiges Wort "Enthusiasmus".

Ekstatische Prophetie weist viele Parallelen mit dem Schamanismus auf. Die Prophetinnen suchten Inspiration durch eine Reihe von äusseren Stimuli - sie fasteten, nahmen Honig zu sich, atmeten den Rauch brennender Kräuter oder ätherischer Öle ein, und doch verliessen sie sich am meisten auf Musik und Tanz als Mittel der Trance. Die Rhythmen von Rahmentrommeln, Zimbeln und Flöten brachten sie in den geweihten, konzentrierten Zustand göttlicher Offenbarung.

Das erste Heiligtum von Delphi war aus Bienenwachs und Federn gefertigt, den Symbolen der Großen Mutter. Sie nahm die Gestalt der Python, der archaischen Schlangengöttin an, um durch ihre Priesterinnen zu sprechen. Eine der berühmtesten Äusserungen der Python lautete:

"Erkenne Dich selbst!"

Nach einem Bad in einer heiligen Quelle setzte sich die delphische Orakelpriesterin auf einen Dreifuß und atmete die Räucherdämpfe der Prophetie ein, nachdem ihr Tempel durch das Verbrennen von Gerstenmehl und Lorbeerblättern gereinigt worden war.

Die Orakelpriesterinnen waren immer Frauen jenseits des fruchtbaren Alters. Diese Tradition rührt wahrscheinlich von der Verehrung des Menstruationsblutes als göttliche Flüssigkeit her: Wenn eine Frau den Zyklus des Blutens hinter sich lässt, so wird ihr Blut zum "weisen Blut", und seine Energie fliesst in der Gestalt der Prophezeiung.

Orakelpriesterinnen amtierten in Tempeln und Heiligtümern in der gesamten Mittelmeerwelt, und zwar oftmals in der Nähe von heiligen Quellen oder Höhlen. Sie fungierten als Sprachrohr der Gottheit.

Text : "When The Drummers Were Women" von Layne Redmond

Stay Up-To-Date with New Posts

bottom of page