In Memoriam
3.6.2018
Heute ist ein besonderer Tag: am 3.6. vor einem Jahr bin ich zurück nach Stuttgart gezogen.
Nach vielen Jahren der tänzerischen Wanderschaft.
HEUTE vor 16 Jahren kam meine Mutter ums Leben.
HEUTE vor 16 Jahren habe ich mein erstes Soloprogramm LOVE DANCES aufgeführt, in Berlin, an dem ich über ein Jahr gearbeitet habe und von Idee, Konzept, Realisation, Produktion, Kostüme, alles aus meiner Feder stammte.
Danach war nichts mehr wie es war.
Daher veröffentliche ich hier für euch einen weiteren Auszug aus meinem autobiografischen Mut-Mach-Buch, an dem ich endlich wieder Zeit habe zu schreiben:
IN MEMORIAM
Ich hatte großes Glück mit meinen Eltern. Obwohl sie beide tragisch ums Leben gekommen und schon lange nicht mehr bei mir sind, spüre ich ihre Gegenwart tagein, tagaus.
Meinen Vater vermisse ich schmerzlich.
Meiner Mutter weine ich heute noch nach.
Und dennoch ist alles genau richtig gekommen für meinen persönlichen Werdegang. In spirituellen Kreisen sagt man, die Eltern seien unsere Entwicklungshelfer. Nicht alles, was sich im Laufe eines Lebens ereignet und einem widerfährt, kann man in dem Moment, wo es geschieht, verstehen es sei denn, man ist so geistesgegenwärtig und akzeptiert die Dinge, wie sie sind. Ich habe grundsätzlich immer alles hinterfragt. Warum passiert mir das ? Was habe ich verbrochen, was habe ich falsch gemacht ? Wie kann ich diesen Schmerz verkraften?
Und ich kann jetzt sagen: Alles ist überwindbar.
Wenn ich als junges Mädchen geahnt hätte, was auf mich zukommt, hätte ich wohl lieber eine Kehrtwende gemacht und gesagt, das ertrage ich nicht. Und als es gerade mal wieder knüppeldick kam, hat der liebe Gott noch eine Schippe draufgelegt.
Meine Eltern waren beide sehr fromm.
Von meiner Mutter lernte ich das Kindergebet, das ich heute noch spreche, wenn ich den Lauf der Dinge einer Höheren Macht überlasse:
„Ich bin klein,
mein Herz mach rein,
soll niemand drin wohnen
als Jesus allein.
Engelein komm,
mach mich fromm,
dass ich zu Dir in den Himmel komm,
Amen“
Mein Vater brachte mir Gebete auf Spanisch bei:
„Dios te salve Maria
Llena eres de gracia
El Señor es contigo
Bendita tu eres entre todas las mujeres
Y bendito es el fruto de tu vientre
Amen
Jesus.“
„Santa Maria
Madre de Dios
Ruega por nosotros pecadores
Ahora y en la hora de nuestro muerte
Amen
Jesus“
Aus der Kirche bin ich schon lange ausgetreten, aber ich bin überaus fromm. Ohne meinen Glauben an eine übergeordnete Kraft hätte ich all die Krisen in meinem Leben nicht geschafft. Die Marienverehrung meines Vaters hat mich tief beeindruckt. Er war am liebsten in leeren Kathedralen und hielt dort Zwiegespräch mit Gott. Sein Medaillon mit der Madonna Del Rocio trug er Zeit seines Lebens und nach seinem plötzlichen und überraschenden Tod habe ich es an mich genommen.
Ich hüte es wie einen Schatz.
Von meiner Mutter habe ich einen Mondstein, den ich mir als Ring fassen liess als Vollmondin mit zunehmender und abnehmender Mondsichel daneben. Meine Mutter war ganz vernarrt in den Mond. Selbst auch im Tierkreiszeichen Krebs geboren wie ich und auch mein Bruder, haben wir alle drei eine besondere Verbindung zu diesem Erdtrabanten. Mein Bruder ist als Kind lange im Schlaf gewandelt. Ich hatte luzide Träume und war ganz überrascht, als die Dinge sich dann tatsächlich so ereigneten, wie ich geträumt hatte. Ich habe Tode, Krankheiten, Störfelder gesehen, aber diese Träume immer als Hirngespinst abgetan. Meine Mutter war eine ausgezeichnete Astrologin und Kartenlegerin, sie hat ihre Kenntnisse allerdings nur hobbymässig betrieben. Dabei waren ihre Prognosen und Berechnungen immer exakt und haben uns alle verblüfft.
Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter bei ihrer Großtante aufgewachsen ist. Tante Lydia konnte wirklich gut Kartenlegen und war hellsichtig. Sie wohnte in einer verschrobenen Villa in Stuttgart-Untertürkheim, und ausgerechnet dort bin auch ich jetzt gelandet nach meinen turbulenten Jahren der Wanderlust. Zufall ? Schicksal ?
Tante Lydia hat immer zu meinen Eltern gesagt, an euren Früchten sollt ihr sie erkennen (Matthäus).
Sie meinte, dass mein Bruder und ich ganz aussergewöhnliche Kinder seien und sie keinerlei Sorgen mit uns haben werde. Der Herrgott würde sich immer um uns kümmern. Das Leben meiner Eltern war von Sorgen geprägt, es ging immer um das liebe Geld. Meiner Mutter lag eine gute Ausbildung für uns beide sehr am Herzen, sie versuchte ihr Bestmögliches und ging putzen. Zwar hatte sie eine eigene Gebäudereinigungsfirma damit aufgebaut und war ihr eigener Herr, dennoch lernte sie sich selbst nie richtig kennen und war sich bis zu ihrem Tode fremd geblieben. Dazu später mehr.
Mein Vater scherte sich ehrlich gesagt einen Dreck um uns, weil er genug mit sich selbst zu kämpfen hatte. Er war da und auch nicht. Seit ich ihn kenne, war er dem Alkohol verfallen und das kostete ihn mit 51 Jahren schliesslich das Leben. Er starb an einer Leberzirrhose in Verbindung mit einer Lungenentzündung, die tödlich für ihn ausging. Das war an Sylvester 1988. Innerhalb von 3 Tagen wurde er krank und starb. Nachmittags um 13 Uhr. Ich hatte ihn noch zusammenfallen gesehen auf der Toilette, als ich mit einer Freundin am Flamenco üben war, mein Bruder stürzte ins Zimmer und meinte, Vati sei zusammengebrochen, rief den Notarzt, die haben ihn abtransportiert, da hat er noch gelebt, und ich wusste es war alles zu spät. Ich sah diesen Mann aus dem Leben gleiten, die Umstände waren so tragisch und ich war Meisterin im Verdrängen und sagte zu meiner Freundin: Tanzen wir weiter?
Das haben wir selbstverständlich nicht getan. Ich muss dazu sagen, dass meinem Vater die Tanzerei nicht geheuer war. Er war zwar stolz, als ich mit Flamenco anfing und mit ihm an seinem 50. Geburtstag getanzt habe, aber er wollte nicht, dass ich damit etwas beruflich mache. Mit solchen Noten macht man Abitur, sagte er immer zu mir und legte mir nahe, der Tanz sei nichts. Als „A Chorus Line“ im Fernsehen lief und ich zu ihm sagte „schau, das mache ich“, erwiderte er in seinem gebrochenen Deutsch „So Klump mach Du?“
Das hat mir schier das Herz gebrochen. Ich habe mich so nach seiner Anerkennung gesehnt. Dass mir das zum Verhängnis wurde in meinen späteren Begegnungen mit Männern, war mir damals noch nicht bewusst. Zwischen mir und meinem Vater gab es ein so starkes Band, er liebte mich abgöttisch und ich hab ihn so verehrt, obwohl er mich windelweich geschlagen hat. Eine Affenliebe. Er war ein so schöner Mann. Unglaublich witzig, hochintelligent, Jesuitenschüler, ein fantastischer Koch, ein vortrefflicher Autofahrer, reiselustig, in sein Heimatland verliebt. Als Andalusier war er das Ebenbild eines Gitanos, eines Zigeuners. Meine beiden Eltern gaben ein wirklich schmuckes Päarchen ab, meine Mutter war blond und hellhäutig, mein Vater schwarzhaarig und dunkelhäutig , beide zierlich und so schön. Ich hab sie beide so sehr geliebt. Sie gaben ihr Bestes, mit den begrenzten Mitteln, die sie hatten. Zwar habe ich ihnen das zeitlebens nicht immer gedankt - war ich doch ein aufmüpfiges Kind - aber dennoch hatte ich eine harmonische Kindheit mit vielen Reisen nach Spanien.
MATER DOLOROSA
Als alte Lateinerin – immerhin habe ich das Große Latinum dank Abitur am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium mit Leistungskurs (schon wieder das Wort „Leistung“) in Latein und Kunst - wähle ich diesen Titel der „Schmerzensmutter“, weil er mir für dieses Kapitel passend erscheint. Gerne hätte ich Kinder gehabt. Noch immer hege ich insgeheim die Hoffnung, dass sich doch noch ein oder gar zwei Seelen durch mich inkarnieren und womöglich sogar auch meine Arbeit weiterführen. Ein Junge und ein Mädchen. Allerdings habe ich an Jungs immer einen „Affen gefressen“ und freue mich über jedes freche und lebendige Kind. So war ich nämlich auch. Ein wildes Kind.
Daher kam ich mit 7 Jahren in die Ballettschule und konnte durch das klassische Training meine Energien schon mal besser kanalisieren. Meine Eltern hatten das Glück, dass ich auf eigene Faust einen Ausbildungsplatz in der John-Cranko-Schule ergatterte und mit 14 Jahren ging für mich der Ernst des Lebens los. Ich hatte nämlich in der Zeitung die Anzeige zur Audition gesehen und gesagt: „Da will ich hin!“ Meine Eltern liessen mir in allen Entscheidungen freien Lauf und so kam es, dass mich die klassische Ballettwelt in ihren Bann zog. Ich weiss noch, als mir die Nachricht verkündet wurde ich sei aufgenommen und hätte von nun an tägliches Ballett-Training und noch viel mehr – ich habe nämlich schlicht gefragt: „JEDEN Tag?“ und eine der Lehrerinnen meinte schmunzelnd: „JA!“ als hätte ich mich auf ein Gelübde eingelassen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.
Wir hatten nicht nur tägliches klassisches Training, sondern auch Folklore, Charaktére und Flamenco und vor allem zeitgenössischer Tanz. Improvisation. Tanzgeschichte. Tanznotation. Dazu Proben zu allerlei Aufführungen wie Opernbällen und Werkschauen. Es gab Workshops mit Gastlehrern aus allen Sparten. Mein Favorit war José de Udaeta, der Meister des Spanischen Tanzes, zu dem ich dann jährlich in die Sommerakademie nach Spanien ging und meine Flamenco-Kenntisse vertiefte. Das war eine schöne Zeit und die Jahre vergingen wie im Flug. Und ich hatte ja Energie ohne Ende.
Wie gesagt, ich ging ja auch in ein humanistisches Gymnasium von Renommée, auf dem überwiegend die königliche Brut vom Killesberg und Konsorten mit Kohle waren und mein Bruder und ich waren ja aus eher einfachem Zuhause. Der zusätzliche Zeitaufwand war jedoch beträchtlich. Das Lernen fiel mir zwar leicht, aber ich war im Schnitt drei bis vier Stunden nachmittags in der Ballettschule, bin mit dem Fahrrad auch noch hingeradelt und war quasi schon aufgewärmt, danach noch Hausaufgaben und auf Klassenarbeiten lernen. Ich war Einser-Kandidatin. Viele gute Noten schüttelte ich einfach aus dem Ärmel. Und dennoch fing es mich insgeheim an zu stressen auf allen meinen Gebieten weiterhin erstklassige Leistung (schon wieder das Wort) abzuliefern. Ach ja, Klavierspielen war zu der Zeit auch noch ein Thema, denn seit meinem 9. Lebensjahr ermöglichte mir und meinem Bruder unsere Mutter privaten Unterricht. Also auch weiterhin Klavier üben. Und auch das fiel mir – noch – leicht und ich spielte Stücke von Debussy rauf und runter. Mit 17 Jahren fing ich an, ebenfalls privaten Gesangsunterricht zu nehmen. Ich hatte Mitschülerinnen, die mir mein Leben neideten. Sie konnten nicht verstehen, wie ich Elite-Schule, Ballettpensum, Gesangskünste und Klavierspiel alles so leicht meistere und eiferten mir nach. Dabei hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich genau 30 Jahre später in eine schwere Erschöpfungsdepression fallen würde. Mit 44 Jahren erlitt ich einen Nervenzusammenbruch und war für 2 Jahre komplett ausser Gefecht. Nichts ging mehr. Weder vor noch zurück. Kein Wunder, denn mein Leben wurde immer intensiver und komprimierter und gipfelte mit 20 Jahren im Vollzeit-Stipendium im Bereich Musical für eine renommierte Tanzschule in London.
Mein erster Musical-Meilenstein.
Meine Mutter hat sich so für mich gefreut. Sie hätte mir ein solches Studium der Extraklasse finanziell nie ermöglichen können, erkannte sie doch früh mein enormes Talent in den Darstellenden Künsten. Geführt wurde ich selbst von meiner Intuition. Ich wusste immer am Besten, was der nächste Schritt für mich sei.
So war es auch mit der Ausschreibung des London Studio Centers, sie hätten 2 Plätze zu vergeben als Teilstipendium oder 1 Platz als Voll-Stipendium. Die Audition wurde in einer bekannten Stuttgarter Tanzschule abgehalten, an der überwiegend Jazz, Modern Dance, Stepptanz unterrichtet wurde, auch Gesang und Schauspiel, Ballett eher sekundär, und es gab auch eine Ausbildungsklasse. Sprich alles, was man als angehender Musical-Darsteller so brauchte. Jetzt kam mir meine erstklassige Ballett-Ausbildung an der John Cranko Schule zu Gute. Nicht nur das klassische Training von der Pike und seit dem 7. Lebensjahr, die gute Förderklasse einer weiteren privaten Schule, die ich ab dem 17. Lebensjahr besuchte, nachdem mir die klassische Berufswelt versagt blieb und ich lieber mein Talent in den zeitgenössischen Tanzbereich investierte. Mit 17 hätte ich nämlich in die Ballett-Akademie kommen sollen, dafür aber mein Abitur aufgeben müssen. Mein Vater, der damals noch lebte, nahm mir in diesem Falle die Entscheidung ab mit den Worten: „Abitur kommt her!“ und der Tanz sei sowieso nur Unfug. Und so lernte ich weiter in privaten Tanzschulen, die es damals zum Glück in Stuttgart gab und landete im „Upstairs“. Ich bin da hin und meinte frech, ich wolle an allen Kursen teilnehmen – weil ich es ja so nicht anders kannte. Die Studio-Betreiberin musste lachen und erzählte allen, es habe sich ein Mädel von der Cranko-Schule bei ihr angemeldet , die ALLES tanzen möchte (das erfuhr ich alles später). Sie machte mir den Vorschlag doch in ihre Förderklasse zu kommen und ich muss wirklich sagen, ich bekam bei ihr und ihrem Partner eine vorzügliche Weiterbildung in allen wichtigen Tanzsparten und die Workshops im In- und Ausland verfeinerten dann noch meine tänzerischen Fähigkeiten. Ich hab wirklich viel getanzt. Meine Güte, woher nahm ich bloß all diese Energie? Vor 30 Jahren gab es in Stuttgart ein sehr gutes und breitgefächertes Angebot an Workshops mit allerlei Gastdozenten aus aller Herren Länder und ich habe wirklich sehr davon profitieren können. Schliesslich begann ich mit 17 Jahren auch meine ersten Klassen zu unterrichten und fand großen Gefallen daran.
Nun zu besagter Audition für das London-Studio Center. Es wurde geschummelt, wie ich erfuhr. Eine der Ausbildungsschülerinnen an der Schule, wo die Audition abgehalten wurde, hat sich verplappert und meinte nämlich, sie wüssten ja schon, was auf sie zukommen würde, weil Ihnen der Jazz-Lehrer vorab die Kombi schon beigebracht hätte – er sei nämlich selbst ein ehemaliger Absolvent dieser Londoner Schule und wurde gebeten, eine Kombi zu choreografieren für die Prüfung. Tja, was soll man dazu sagen?
Ich hab ja schon immer eine leichte Auffassungsgabe gehabt und das Lernen von Schritten war für mich somit ein Klacks. Dann wurden wir noch zum Singen gebeten – ich sang einen komödiantischen Titel namens „If my friends could see me now“ – Nomen est Omen - und wurden zu guter Letzt gefragt, was wir noch so auf dem Kasten hätten. Ich meinte, Flamenco. Also zeigte ich Ihnen ein Stück Por Bamberas, das ich in Spanien gelernt hatte.
Veni, Vidi, Vici.
Ich bekam also den begehrten Platz und das Vollzeit-Stipendium.
Und dann ging es ab nach LONDON !!!
Ich hatte ja keine Ahnung, was auf mich zukam !!!
(Fortsetzung folgt)
(Auszug aus meinem autobiographischen und interaktiven Mutmachbuch „DAS LEBEN, DAS WIR BEIDE LIEBEN“)
